Zur Gegengeschichte einer neutralisierenden Urbanisierung: Die Lage deutscher Philosophie
- Giovanni Battista Demarta
- Sep 4, 2022
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.Die Rückgewinnung von einer zerstreuten Ekzedenz im Gespräch mit dem Denken zwischen den Weltkriegen, die im Rahmen der angekündigten ›anfänglichen Quadrilogie‹ stattfindet, bietet einen kaum versuchten Ansatz zur deutschen Philosophie seit der Nachkriegszeit, der im scharfen Widerspruch zum dominanten und nicht mehr problematisierten Selbstbewusstsein steht. Das Umdenken der sogenannten ›Urbanisierung‹, die sich weit über die Grenzen des einzelnen Verhältnisses zwischen Gadamer und Heidegger erstreckt, lehnt – sozusagen – den philosophisch-politischen Ausnahmezustand ab, der allzu oft übermäßig verlängert worden ist, nur um dem toten Winkel dieser verbreiteten Einstellung schlecht zu entkommen. Sicherlich macht sich die geschichtliche Last der akademischen Verwicklung in den Nationalsozialismus noch bemerkbar, erst recht wenn der periodisch wiederauftauchende Heidegger-Fall – wie wir selbst hier glauben – eine reale – aber im Grunde noch ungedachte – Fragwürdigkeit indirekt offenbart. Die öffentliche Zensur jeder leichtisinnigen Sehnsucht nach einer ›grossen Politik‹ in Bezug auf Meister aus Deutschland mit einem schlechten Ruf wie Nietzsche und Heidegger tritt in einen krassen Gegensatz zur – zumindest äusserlichen – planetarischen Wirkungsgeschichte im Gefolge des Denkers aus Meßkirch, die für manche der beste Beweis für die innere Inkonsistenz und Verführbarkeit vieler kontinentalen Philosophie ist. Wieweit die deutschen Haupttendenzen im philosophischen Bereich seit der Nachkriegszeit – trotz aller möglichen Verschiedenartigkeit – noch im Schatten von Heidegger verbleiben, kann es anhand der fiktiven und illusorischen Modelle der Überwindung bzw. des Loswerdens gemessen werden, die als einzige Alternative zur ersetzenden biographischen Erforschung noch aktiv sind und zumeist das Hauptmuster eines angeblichen involutiven Nebenprodukts des Historizismus aus dem 19. Jahrhundert widerspiegeln, um letztendlich das jämmerliche Scheitern – erst recht in Deutschland – des klangvollen Programms ›Mit Heidegger gegen Heidegger denken‹ aus dem weit entfernten Jahre 1953 zu bestätigen, abgesehen von der industriellen Produktion von Sekundärliteratur, die ins grosse Licht die Wahrheit einer gewissen Universitätsphilosophie vollkommen stellt. Dieser Schatten wird um so mehr länger, je mehr der Rückgriff auf fiktive Modelle von Auseinandersetzung Hand in Hand nicht nur mit selbsternannten Formen eines ›nachmetaphysischen‹ Denkens geht, sondern vor allem mit einem klassizistischen Kreisen der neueren Generationen um das verewigte Erbe des Deutschen Idealismus, im Gefolge dessen es nicht übertrieben, aus der Perspektive der obengenannten und wiedergewonnenen Ekzedenz zu behaupten, dass die deutsche Philosophie in ihrem heutigen Stand hinter sich selbst um ein Jahrhundert zurücksteht.

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